Aller guten Dinge sind drei? Von wegen. Denn dreimal war die Schauspielerin Joan Allen bereits für den Oscar nominiert - 1996 für «Nixon», 1997 für «The Crucible» und 2001 für «The Contender» -, jedoch ohne ihn zu gewinnen. Members of the Academy: Es reicht. Wenn die Dame für ihre Rolle in «The Upside of Anger» am 5. März 2006 nicht endlich den kleinen goldenen Herrn erobert, liegt Wahlbetrug vor. Und diesmal wäre ihr Sieg umso verdienter, denn nun liefe Frau Allen nicht Gefahr, den Preis für die beste Heulsuse seit Meryl Streep zu bekommen, sondern sie gewänne ihn für das breite Spektrum ihrer Schauspielkunst: Als geprellte Ehefrau und Mutter zieht sie ganz neue Temperamentsregister, ohne etwas von ihrer gewohnten Überzeugungskraft einzubüssen.
Allen spielt Terry Wolfmeyer, die nach langjähriger Ehe feststellen muss, dass ihr Gatte Grey offenbar mit seiner schwedischen Sekretärin durchgebrannt ist. Terry ist Mitte vierzig und schlägt sich mit vier Töchtern herum: «Die eine hasst mich, und die andern drei arbeiten daran.» Die Älteste, Hadley, ist Studentin und will heiraten; ihre Schwester Andy will nicht an die Uni, sondern um jeden Preis in den Medien Karriere machen; Emily will Tänzerin werden, was Terry ihr verwehrt; Nesthäkchen Popeye ist ein frühreifes Gör - und die Erzählerin der Geschichte.
Als sitzengelassene Ehefrau und Mutter könnte Terry in einer Depression versinken. Stattdessen wird sie wütend. Diesen Zorn bekommen ihre Töchter teilweise unverdient zu spüren, doch - und das ist seine «gute Seite», die der Titel anspricht - er eröffnet letztlich auch Möglichkeiten zur Veränderung. Terry tobt aber nicht nur; sie trinkt auch regelmässig über den Durst, und da ist sie nicht allein. Der Nachbar Denny, ein Freund ihres Mannes, war einst ein Baseballstar und macht nun eine Sport-Talkshow im Radio. Das stinkt ihm ziemlich, und so lebt er vor allem in den Tag hinein, am liebsten mit einem Drink in der Hand. Über das gemeinsame Trinken kommen sich der arglose Denny und die misstrauische Terry näher.
Der Regisseur Mike Binder hat sich als Autor und Star von Filmen und Fernsehserien über Männer und ihre Nöte mit Sex und Begierde bei der Kritik kaum Lorbeeren erworben. «The Upside of Anger» nun hat er für Joan Allen geschrieben, mit der er seit ihrer Zusammenarbeit im Politdrama «The Contender» befreundet ist. Einen Nebenstrang der Handlung hat Binder sich selbst und seinen üblichen Obsessionen vorbehalten (er spielt den lüsternen Radiomacher Shep, der Terrys Tochter Andy abschleppt und den Zorn der Wolfsmutter auf sich zieht). Im Mittelpunkt steht jedoch erstmals bei Binder eine Frau, obendrein eine, die von ihrem Mann im Stich gelassen worden ist, und siehe da: Es ist gelungen.
Joan Allen hat schon in früheren Rollen Intelligenz, Ecken und Kanten gezeigt, nicht zuletzt in Ang Lees «The Ice Storm», wo sie ebenfalls eine betrogene Ehefrau verkörperte. Als Terry kann sie nun erstmals ihre komödiantische Begabung ausspielen, und Binders Drehbuch bietet ihr viel Gelegenheit für sarkastische Sprüche und Situationskomik. Als ihr perfektes Pendant erweist sich der etwas teigige Kevin Costner, der hier nicht zum ersten Mal einen Ex-Sportler spielt, für seine Verkörperung des treuherzigen Denny aber - wie es bei der Uraufführung am Sundance Film Festival hiess - einen freundlichen streunenden Hund aus seiner Nachbarschaft zum Vorbild genommen hat. (Kino Capitol in Zürich) (Michel Bodmer, NZZ 16. Dezember 2005)
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